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Defense & Security

Inside Out: Europas versehentliche Erbauer von Imperien

Hochdetaillierte politische Karte von Europa

Image Source : Shutterstock

by Dr. Roderick Parkes

First Published in: Jul.03,2023

Aug.25, 2023

Im späten 19. Jahrhundert entwickelte sich das geopolitische Denken in zwei Schritten. Erstens begannen die einzelnen europäischen Imperien, die um ihren Einfluss auf die eurasische und afrikanische Landmasse besorgt waren, auf der Grundlage ihrer früheren Kämpfe miteinander konkurrierende Geostrategien zu kodifizieren. Zweitens übernahmen die Vereinigten Staaten (USA) den wichtigsten Strang dieses Denkens vom Vereinigten Königreich (UK) und stellten sich selbst als globale Seemacht vor, die in der Lage ist, liberale maritime Werte wie den freien Austausch weltweit zu verbreiten. Diese beiden Generationen der Geopolitik sind wieder nach Hause gekommen, zurück nach Europa gebracht von einem wohlmeinenden Joe Biden, dem US-Präsidenten. Als Biden Deutschland als seinen wichtigsten geopolitischen Partner auf der anderen Seite des Atlantiks wählte, begann Europa unaufhaltsam, sich gemäß diesen beiden Theorien neu zu konfigurieren. Bidens Wahl Berlins als Partner machte Mitteleuropa zu einem gefangenen Randgebiet Deutschlands, was wiederum dazu führte, dass sich eine liberale europäische Küste vom Baltikum bis nach Italien herausbildete.

Bidens schicksalhafte Wahl

Zu Beginn seiner Präsidentschaft bezeichnete Biden Deutschland als seinen wichtigsten Partner in einem kommenden geoökonomischen Kräftemessen mit der Volksrepublik China (VR China). Mit seiner Entscheidung, die Sanktionen gegen Nord Stream II aufzuheben, belohnte Biden Europas größte Volkswirtschaft und stabilste Demokratie. Er signalisierte auch, dass Deutschland nach 30 Jahren Trittbrettfahrerei endlich geopolitische Verantwortung übernehmen muss. Bidens Entscheidung, die logisch und wohlmeinend ist, hat in Europa eine Kettenreaktion ausgelöst. Geopolitik ist in Deutschland tabu. Wie soll man also reagieren, wenn der Hüter der offenen internationalen Ordnung einen dazu drängt, geopolitisch zu werden? Die Antwort lautet: mit verfassungsrechtlichen Mitteln – Deutschland in einen föderalen europäischen Staat einbinden, indem das Vetorecht der Regierungen der Europäischen Union (EU) in der gemeinsamen Außenpolitik aufgehoben wird. Für die Beamten in Berlin ist dies der naheliegende Weg, um die deutsche Macht in Europa zu nutzen – so naheliegend, dass es ihnen nicht in den Sinn kommt, dass andere die Dinge anders sehen. Die Polen sehen das anders. Sie sind der Meinung, dass eine Föderalisierung die deutsche Vorherrschaft in Europa zementieren würde, anstatt sie zu stärken. Sie haben keine Angst vor einem geopolitischen Deutschland, solange es ihre Art von Geopolitik ist: Sie wollen ein Deutschland, das sich gegen Russland behauptet. Aber warum sollte man sich für eine Föderalisierung einsetzen, solange nicht der Beweis erbracht ist, dass Deutschland dazu bereit ist? Olaf Scholz, der deutsche Bundeskanzler, will die EU selbstbewusst nach Osten erweitern, und dazu muss er zunächst die Politik so straffen, dass die EU auch dann noch funktioniert, wenn die Moldawier oder Montenegriner am Tisch sitzen. Aber die Polen sagen: Erst die EU erweitern, dann reformieren. Polen will eine "geopolitische Osterweiterung" und keine prozessgesteuerte: Die polnische Regierung will die EU schnell in die alte "Druckzone" zwischen Russland und Westeuropa erweitern, um die Verteidigung der europäischen Werte durch die Ukrainer zu schützen und zu belohnen. Und sie will dies vor der Föderalisierung tun, um sich dagegen abzusichern, dass Berlin die Macht über gemeinsame europäische Entscheidungen erlangt und die EU-Erweiterung aus Rücksicht auf Moskau auf Eis legt. Frankreich wiederum hört diese Gespräche und befürchtet, dass Deutschland seine jüngste Westbindung verliert – dass es sich wieder auf seinen historischen Schwerpunkt im Osten zubewegt. Dies würde das Ende der EU als Mittelmeerprojekt bedeuten. Aus Panik vor dieser Aussicht schlagen die Franzosen ein Europa der "konzentrischen Kreise" vor. Dies ist die Vorstellung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dass eine EU der 36 von einer Untergruppe von Staaten geführt werden muss. Die ursprünglichen sechs westlichen EU-Staaten würden den politischen und wirtschaftlichen Kern bilden, da die östlichen Staaten wie Polen immer noch nicht in einflussreichen Clubs wie der Eurozone vertreten sind.

Europäer gründen unbedacht ein deutsches Kaiserreich

In diesen Ländern werden historische Ängste wiederbelebt. Geopolitisches Denken ist in der europäischen strategischen Kultur fest verdrahtet, und Deutschland, Polen und Frankreich fallen leicht in die Tropen spätimperialer Ängste. Polen fürchtet, wieder in einer Druckzone zwischen russischen und deutschen Kondominien zu stehen. Frankreich fürchtet den Verlust seiner alten afrikanischen Einflusssphäre. Und Deutschland hat Angst davor, dass andere Europa als sein Imperium betrachten. Die Tragödie der europäischen Geopolitik besteht darin, dass sie auf historischen Ängsten aufbaut, die sich selbst erfüllen. Diese drei Ideen zusammen – "europäische Föderalisierung", "konzentrische Kreise" und "geopolitische Erweiterung" – formalisieren ungerechte politische Hierarchien in Europa und zementieren das, was alle am meisten fürchten – die deutsche Dominanz. Mit der Föderalisierung der EU zementiert Berlin ungewollt seine eigene Position an der Spitze der europäischen Hackordnung. Es konstitutionalisiert Europa nach sehr deutschem Vorbild. Die Franzosen sind sich bewusst, dass Deutschland diese Machthierarchien zementiert, aber sie klammern sich an den Glauben, dass sie davon profitieren können – dass Paris und die ursprünglichen EU-Staaten mit Berlin in den inneren Kreis der europäischen Angelegenheiten eintreten werden. Aber das deutsch-französische Verhältnis ist zerrüttet, und Deutschland sitzt nun allein im inneren Kreis. Wenn die Franzosen also den Begriff der "konzentrischen Kreise" propagieren, legitimieren sie damit nur ihre eigene Herabstufung. Es ist bezeichnend, dass andere EU-Gründungsmitglieder – Belgien, Luxemburg und Italien – sich das Leben in der zweiten Reihe zu eigen machen. Während der Pandemie, als die deutschen Grenzen geschlossen wurden, schloss sich Italien mit Bayern, Luxemburg mit Rheinland-Pfalz und Belgien mit Nordrhein-Westfalen zusammen. Diese EU-Mitglieder verhalten sich nun routinemäßig so, als wären sie selbst deutsche Bundesländer und die deutsche Bundesordnung wäre die europäische. Was Warschaus Vorstellung von einer "geopolitischen Erweiterung" betrifft, so werden Polen und seine engsten Partner damit faktisch auf eine dritte oder vierte Stufe verwiesen. Polen argumentiert, dass die Reform der Abstimmungsverfahren erst nach dem Beitritt der Ukraine und der neun anderen potenziellen Mitglieder zur EU durchgeführt werden sollte – was bedeutet, dass die neuen Mitglieder auf ihr Stimmrecht verzichten, während die EU sich reformiert. Damit legitimiert Polen genau das, worüber es sich seit Jahren beschwert – die Art und Weise, wie neue Staaten von Deutschland lange nach ihrem Beitritt als stumme "Politikmacher" behandelt werden. Polens Idee der "geopolitischen Erweiterung" birgt auch die Gefahr, dass Nicht-EU-Mitglieder wie Großbritannien und Norwegen an den politischen Rand gedrängt werden, selbst wenn sie versuchen, mit der EU in der Ukraine und in Osteuropa zusammenzuarbeiten: Polen versucht, Deutschland mit dem Narrativ zu motivieren, die EU nach Osten zu erweitern, um mit "dritten Mächten" zu konkurrieren und deren Einfluss einzudämmen. Doch damit werden Großbritannien und Norwegen unwissentlich mit der VR China und Russland in einen Topf geworfen und zu Eindringlingen in ihrem eigenen Hinterhof gemacht.

Deutschland als Bremser des Wandels

Eine auf Berlin ausgerichtete europäische Ordnung muss für die Länder in den Außenbereichen nicht bedrückend sein, solange Deutschland auf sie eingeht und sich maßvoll verhält. Aber Scholz lässt sich nicht so leicht beirren. Sein Deutschland ist von der Angst um seine Produktionsstärke geplagt und hat wenig Verständnis für die Sorgen anderer. Berlin, das sich in ganz Europa mit Forderungen nach deutschem Handeln und Geld konfrontiert sieht, erfährt eine Art imperialer Müdigkeit. Beamte sprechen nicht nur von der EU-Erweiterung als einer Art Überdehnung. Sie beschreiben die großen Dossiers in pessimistischen, malthusianischen Begriffen – digitale Konnektivität als "schrumpfender Raum", Migration als "globale Überbevölkerung", der Klimawandel als "Gerangel um seltene Ressourcen". Dieses pessimistische Deutschland nutzt seine zentrale Stellung zu oft, um den unhaltbaren europäischen Status quo zu schützen und durchzusetzen. Anstatt die europäische Energieinfrastruktur, während der jüngsten Gaskrise radikal zu erneuern, kündigte Berlin beispielsweise an, dass es von den südlichen EU-Staaten erwartet, dass sie Deutschland ihre Gasvorräte überlassen. Die Quintessenz: Gebt uns euer Gas oder wir geben euch unsere wirtschaftliche Rezession. Deutschland hat in den letzten 30 Jahren nicht das übliche Muster der Deindustrialisierung durchlaufen. Stattdessen hielt es sein verarbeitendes Gewerbe über Wasser, indem es die politische und wirtschaftliche Infrastruktur Europas ausbeutete. Dies ist immer noch die einfachste Option, auch wenn diese Infrastruktur heute wenig zu bieten hat. Die Nachbarländer sind jedoch noch nicht bereit, ihr Schicksal als gefangene Randgruppe Deutschlands zu akzeptieren. Ihre Befürchtung, dass Scholz in Berlin einen "Germany First"-Ansatz verfolgen könnte, führt zu einer bemerkenswerten Umschichtung der Bündnisse in Europa, da reformorientierte Staaten versuchen, sich gegen Berlin zu verbünden. Die Niederlande und Frankreich, die seit jeher in der Wirtschaftspolitik zerstritten sind, tun sich zusammen. Noch überraschender ist, dass Frankreich und Polen, die über die deutsche Haltung zur Atomkraft so verärgert sind, sich in einer vorsichtigen Auswahl strategischer Fragen zusammenschließen. Diese mögliche Machtverschiebung weg von Deutschland ist irgendwie übersehen worden. Es wurde zwar viel über eine Machtverschiebung in der EU nach Osten, nach Mitteleuropa, gesprochen, aber die meisten Kommentatoren sind sich einig, dass dies angesichts der gespaltenen Innenpolitik Polens wenig bringen wird. Viel interessanter und wichtiger ist die Machtverschiebung nach Westen, da Deutschland versucht, seine kritische Infrastruktur neu zu verkabeln, damit Energie, Investitionskapital und Ideen aus dem Westen und nicht aus dem Osten in seine kränkelnde Wirtschaft fließen. Die einfache Geografie macht Küstenstaaten wie die Niederlande oder Italien zu Zugangspunkten für Ressourcen, die aus Amerika und Afrika nach Deutschland gelangen.

Europas liberale Küste

Die europäischen Küstenstaaten sind sich der Chancen bewusst, die diese Verlagerung mit sich bringt. Italien hat Pläne aus den 1950er Jahren wiederbelebt, um eine Energiedrehscheibe zwischen Afrika und Europa zu werden. Die Briten mit ihrer langen Küste können als Lieferant von Windenergie und als Umschlagplatz für flüssiges Erdgas in Europa fungieren. Die Niederländer, die ihre Häfen als Hauptanlandepunkt für US-Truppen und -Waffen etabliert haben, können Infrastrukturentscheidungen auf dem gesamten Kontinent beeinflussen. Küstenstaaten, die bis vor kurzem noch in Nord-Süd-Richtung gespalten waren, schließen sich in der gemeinsamen Wertschätzung ihres dynamischen, nach außen gerichtetem Ansatz zusammen. Italien hat Berichten zufolge die Niederlande eingeladen, das Land zur Deregulierung seiner Wirtschaft zu drängen, um gemeinsam Arbeitsplätze zu schaffen. Die Niederlande haben Italiens hochqualifizierte Bevölkerung ermutigt, in den Norden zu ziehen. Spanien hat angedeutet, dass niederländische Landwirte in den Süden ziehen könnten. Frankreich und das Vereinigte Königreich stellen ihre Finanzzentren zur Verfügung. Das Baltikum seine Technologie. Darüber hinaus versuchen diese Küstenstaaten, Mittel- und Osteuropa einen Ponton zu bieten, der es mit der Atlantikküste verbindet. Großbritannien zum Beispiel hat bereits die nordischen und baltischen Staaten durch die von Großbritannien geführte Joint Expeditionary Force erreicht, und es gibt Gespräche darüber, sie nach Polen und in die Ukraine zu bringen. Deutschland, das bisher der Superconnector im Herzen Europas war, lässt sich umfahren.

Ein neuer Sandkasten für die Seemächte

Wichtig ist, dass Länder wie Dänemark oder die Niederlande die EU nie unter dem Gesichtspunkt der Staatsbildung gesehen haben, wie dies in Berlin der Fall ist, wo jede europäische Krise eine Gelegenheit zur Vertiefung der Integration und zur weiteren Föderalisierung der EU darstellt. Sie betrachten sie als eine Art Sandkasten oder Plug-in: Die EU ist ein Mittel, um die Ordnung in Europa neu zu erfinden und auf große geopolitische Veränderungen mit einem handlichen Werkzeugkasten von Märkten und erfinderischer Steuerung zu reagieren. Die große geopolitische Aufgabe besteht heute darin, die vom Aufstieg der VR China bedrohten Staaten zu schützen und den gegenseitigen Zugang zu wichtigen Ressourcen und Investitionskapital zu sichern. Viele dieser bedrohten Staaten sind Anrainerstaaten im Indopazifik. Die EU hat ihre Rolle zu spielen, und wenn sie diesem Sandkastengeist treu wäre, würde sie heute die heiligen Kühe der 1990er Jahre opfern und alte EU-Projekte wie die Eurozone plündern, um billige und zuverlässige Energie, grundlegende Technologie, Taschen mit Investitionskapital und Zugang zu den besten Köpfen zu kombinieren. Aber wenn eine von Deutschland geführte EU nicht bereit ist, diesen Erfindergeist wiederzubeleben und alte Projekte neu zu kombinieren – die Kapitalmarktunion mit der grünen Industrie zu mischen und so weiter – werden diese Küstenländer ihre eigenen gemeinsamen Eigenschaften nutzen, um Europa von innen nach außen zu kehren.

First published in :

Council on Geostrategy

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Dr. Roderick Parkes

Dr. Roderick Parkes leitet das Alfred von Oppenheim Zentrum zur Zukunft Europas bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Der Brite war in den letzten 20 Jahren in leitenden Forschungspositionen in regierungsnahen Think Tanks in Paris, Brüssel, Warschau, Stockholm und Berlin tätig. Sein Schwerpunkt ist die europäische Sicherheit. 

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