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Ukraine-Krieg: Russlands Drohung, Atomsprengköpfe in Weißrussland zu stationieren – was Sie wissen müssen
Image Source : Wikimedia Commons
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First Published in: Jun.13,2023
Jul.10, 2023
Die Gefahr, dass Russland in der Ukraine Atomwaffen einsetzt, ist "real" und "absolut unverantwortlich", so US-Präsident Joe Biden. Er reagierte damit auf die Frage von Journalisten, ob er glaube, dass Weißrussland russische taktische Atomwaffen erhalten habe. Wenn das stimmt, ist es das erste Mal seit dem Ende des Kalten Krieges, dass Russland Atomsprengköpfe außerhalb seiner Grenzen stationiert. Dies bedeutet nicht unmittelbar eine nukleare Eskalation mit der Nato, da die in der Region Kaliningrad stationierten russischen Atomraketen bereits Polen und die baltischen Staaten in Reichweite haben. Experten sind skeptisch, was die Absichten Russlands betrifft, diese Waffen in der Ukraine einzusetzen. Das Vorhandensein taktischer Nuklearwaffen in Belarus hat jedoch wichtige Auswirkungen auf die europäische Sicherheit. Dies würde die Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland verändern und Weißrussland stärker unter russische Kontrolle bringen. Die beiden Länder befinden sich bereits in einem so genannten "Unionsstaat", nachdem der langjährige weißrussische Staatschef Alexander Lukaschenko und Boris Jelzin Mitte der 1990er Jahre eine Reihe von Verträgen unterzeichnet hatten. Diese sahen eine "tiefere wirtschaftliche Integration" und die "Bildung eines einheitlichen Wirtschaftsraums" sowie die Koordinierung außenpolitischer und militärischer Aktivitäten zwischen den beiden Ländern vor. Die "Union" war relativ locker, bis die Massenproteste in Belarus im Jahr 2020 den verzweifelten Lukaschenko dazu brachten, einer viel engeren wirtschaftlichen und militärischen Integration mit Russland zuzustimmen.
Das Institute for the Study of War stellt fest, dass es sich hierbei "nicht um eine Eskalation von Putins früherer Atomwaffenrhetorik" handelt, sondern dass es vielmehr darum geht, Moskaus militärischen Einfluss auf Weißrussland zu verstärken: "Der Kreml beabsichtigt wahrscheinlich, diese Anforderungen zu nutzen, um die weißrussische Sicherheitssphäre weiter Russland unterzuordnen." Die Sprengköpfe werden unter russischer Kontrolle stehen. Berichten zufolge befinden sich Lagereinrichtungen im Bau, die Anfang Juli fertiggestellt werden sollen. Dies wird eine erhebliche russische Militärpräsenz und ständige Militärstützpunkte in Belarus erfordern. Die Belarussen wollen keine russischen Atomwaffen auf ihrem Boden haben. Forscher von Chatham House, die regelmäßig Umfragen in Belarus durchführen, haben herausgefunden, dass 74 % der Befragten in ihrer Umfrage vom März 2023 die Stationierung ablehnten. Die Ablehnung von Atomwaffen ist sogar noch dramatischer, wenn man analysiert, welche Medien die Befragten konsumieren. Die belarussischen Staatsmedien schlagen unerbittlich die Pro-Moskau-Trommel. Unter denjenigen, die keine staatlichen Medien konsumieren, sind zwischen 97 % und 98 % dagegen. Die Aussicht auf russische Militärstützpunkte ist kaum populärer: In einer früheren Chatham House-Umfrage vom Juni 2022 sprachen sich nur 24 % der Befragten dafür aus. Die Idee einer gemeinsamen Außenpolitik und Armee mit Russland wurde in der Umfrage vom März 2023 von nur 9 % unterstützt. Dies ist ein weiterer Indikator für die Kluft zwischen dem Regime und der Bevölkerung, die durch die Proteste im Jahr 2020, die größten in der jüngeren Geschichte Weißrusslands, deutlich geworden ist. Die Belarussen sind traditionell vorsichtig, wenn es darum geht, sich für eine Seite zu entscheiden, wenn es um politische Allianzen geht. Und trotz einer "Abstimmung", mit der eine Verfassungsänderung ratifiziert wurde, die es Russland erlaubt, Atomwaffen auf seinem Boden zu stationieren, ist das Land zunehmend gespalten zwischen denen, die zu Russland schauen, und denen, die engere Beziehungen zu Westeuropa befürworten. Nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert war, ergab eine Chatham House-Umfrage, dass 47 % gegen den Einmarsch waren, während nur 33 % dafür waren. Eine andere Umfrage ergab, dass 93 % der Befragten einen Kriegseintritt Weißrusslands nicht unterstützen würden.
Und die Belarussen haben auch einen guten Grund, Atomwaffen entschieden abzulehnen. Die Erinnerung an die Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986. Etwa 70 % des radioaktiven Niederschlags landeten auf weißrussischem Territorium, und es gibt Beweise dafür, dass Moskau die Wolken absichtlich so platziert hat, dass der radioaktive Regen über Weißrussland niederging, anstatt in Richtung Moskau zu treiben. Die politischen Auswirkungen waren langsamer, aber nicht weniger bedeutsam: Im Laufe der Jahre wurden die Gedenkfeiern zu einem jährlichen Sammelpunkt für die Anti-Lukaschenko-Opposition. Das Ereignis trug auch dazu bei, dass das unabhängige Belarus als erstes der postsowjetischen Länder sein sowjetisches Atomwaffenarsenal aufgab. Diese Punkte scheinen Lukaschenko nicht zu interessieren, der öffentlich erklärt hat, dass er die Meinung der belarussischen Bevölkerung zum Einsatz von Atomwaffen nicht berücksichtigen wird. Oppositionelle Meinungen sind in Belarus gefährlich, und der Staatsterror gegen jegliche Regimekritik hat sich seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine noch verschärft. Die Zahl der Verhafteten und der zu langen Haftstrafen Verurteilten ist stetig gestiegen. Am 21. Juni gab es in Belarus 1.492 politische Gefangene. Dies ist nur die Spitze des Eisbergs der Repression. Nicht nur Aktivisten der Opposition, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Journalisten, sondern jeder, der mit den Protesten von 2020 in Verbindung gebracht werden kann oder sich jemals in den sozialen Medien gegen das Regime geäußert hat, ist von Verhaftung bedroht. Der jüngste Bericht des UN-Menschenrechtsbüros prangerte "das inakzeptable Bild der Straflosigkeit und der nahezu vollständigen Zerstörung des zivilen Raums und der Grundfreiheiten in Belarus" an, einschließlich der systematischen Anwendung von rechtswidriger Inhaftierung, Gewalt und Folter.
Lukaschenko spielt ein gefährliches Spiel. Die ohnehin schon starke wirtschaftliche Abhängigkeit Weißrusslands von Moskau hat sich durch die westlichen Sanktionen und den Krieg in der Ukraine noch weiter verschärft. Der Anteil Russlands am belarussischen Handel stieg von 49 % im Jahr 2021 auf 60 % Ende 2022. Kürzlich wurde durch ein gemeinsames Steuerabkommen mit Russland, gegen das sich Minsk zuvor gewehrt hatte, die belarussische Kontrolle über die Besteuerung eingeschränkt. Nach Angaben der unabhängigen belarussischen Überwachungsorganisation Hajun Project gibt es keine Hinweise darauf, dass Sprengköpfe angekommen sind. Die Stationierung russischer Atomsprengköpfe würde jedoch zu einer ständigen Militärpräsenz Moskaus führen. Dies würde einen weiteren Autoritätsverlust für Lukaschenko und seine Generäle bedeuten. Und was noch schlimmer ist: Sollte Putin sich entschließen, taktische Atomwaffen gegen die Ukraine einzusetzen, wäre es einfacher, sie von Weißrussland aus abzufeuern und das Land den Wirbelwind der Vergeltung ernten zu lassen. Die Festigung seiner Kontrolle über Belarus wäre ein bedeutender strategischer Sieg für Putins imperiale Ambitionen. Da der Westen mit den Kämpfen in der Ukraine beschäftigt ist und keine klare und entschlossene Politik gegenüber Weißrussland verfolgt, hat er keine offensichtliche unmittelbare Antwort. Sollte Moskau jedoch seine Drohung wahr machen, wäre dies ein gefährlicher Moment – nicht nur für Belarus, sondern für ganz Europa.
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