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Energy & Economics

Die Welt wartet auf Veränderungen

Trump – Putin – Flaggen

Image Source : Shutterstock

by Andrei Kortunov

First Published in: Dec.27,2024

Jan.06, 2025

"Veränderungen! Wir warten auf Veränderungen", verkündete Viktor Tsoi vor fast 40 Jahren, zu Beginn der sowjetischen Perestroika. Wollte man die Vielzahl der vielfältigen und widersprüchlichen Ereignisse, Trends und Stimmungen des vergangenen Jahres in einem einzigen Satz zusammenfassen, so würde dieser lauten, dass die moderne Welt sehnlichst auf Veränderungen wartet. Ähnlich wie in der ehemaligen UdSSR in den 1980er Jahren können heute nur wenige klar definieren, was diese Veränderungen mit sich bringen sollen oder wie sie letztendlich aussehen werden. Doch die Idee, den Status quo beizubehalten, hat im vergangenen Jahr offensichtlich wenig Anklang in der Öffentlichkeit gefunden.

 

Diese ungeduldige Erwartung von Veränderungen spiegelte sich zum Beispiel in den Ergebnissen zahlreicher Wahlen wider, die in den letzten 12 Monaten weltweit stattfanden. Insgesamt gingen mehr als 1,6 Milliarden Menschen zu den Urnen, und in den meisten Fällen verloren die Anhänger des Status quo an Boden. In den Vereinigten Staaten erlitten die Demokraten eine deutliche Niederlage gegen die Republikaner, während im Vereinigten Königreich die Konservativen von der Labour-Partei deutlich geschlagen wurden. In Frankreich geriet die einst dominante Regierungspartei von Emmanuel Macron zwischen die rechte und die linke Opposition und stürzte die Fünfte Republik in eine tiefe politische Krise. In Deutschland, Südkorea und Japan wurde das scheinbar stabile Fundament des politischen Zentrismus erschüttert. Selbst die Partei des äußerst populären indischen Premierministers Narendra Modi konnte ihre parlamentarische Mehrheit nach den Wahlen nicht halten, und in Südafrika verlor der Afrikanische Nationalkongress unter Cyril Ramaphosa ebenfalls seine Mehrheit.

 

Pessimisten könnten einwenden, dass die Abkehr vom Status quo an sich keine Probleme löst und dass die erhofften Veränderungen, wie die letzten Jahre der Sowjetunion gezeigt haben, nicht unbedingt zu positiven Ergebnissen führen. Die Ersetzung vorsichtiger Technokraten durch rücksichtslose Populisten geht oft nach hinten los und trifft diejenigen, die dem festgefahrenen Status quo am kritischsten gegenüberstehen. Optimisten hingegen würden entgegnen, dass die verrosteten Strukturen des Staatsapparats überall dringend einer radikalen Modernisierung bedürfen. Sie würden hinzufügen, dass die Kosten, die unweigerlich mit der Aufrechterhaltung des bestehenden Zustands um jeden Preis verbunden sind, bei weitem die Risiken überwiegen, die mit dem Versuch verbunden sind, ihn zu verändern.

 

Auch die internationalen Ereignisse des vergangenen Jahres lassen verschiedene Interpretationen zu. Pessimisten würden zweifellos darauf hinweisen, dass keiner der großen bewaffneten Konflikte, die aus dem Jahr 2023 übertragen wurden, im Jahr 2024 beigelegt wurde. Im Gegenteil, viele von ihnen zeigten deutliche Tendenzen zur Eskalation. So startete die Ukraine im Spätsommer einen Vorstoß in die russische Region Kursk, und Mitte November ermächtigten die USA Kiew zum Einsatz von ATACMS-Langstreckenraketen gegen Ziele tief im russischen Staatsgebiet. Unterdessen dehnte sich die von Israel im Herbst 2023 im Gazastreifen begonnene Militäroperation allmählich auf das Westjordanland, dann auf den Südlibanon und Ende 2024 auf Teile des an die Golanhöhen angrenzenden syrischen Territoriums aus. Aus Sicht der Optimisten hat das vergangene Jahr jedoch gezeigt, dass der Zerfall des alten internationalen Systems seine Grenzen hat. Weder kam es zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Russland und der NATO, noch brach ein groß angelegter regionaler Krieg im Nahen Osten, in der Straße von Taiwan oder auf der koreanischen Halbinsel aus.

 

Die wirtschaftlichen Ergebnisse des Jahres 2024 sind ebenso zweideutig. Einerseits blieb die Weltwirtschaft das ganze Jahr über stark von der Geopolitik beeinflusst. Der Prozess der "technologischen Entkopplung" zwischen den USA und China setzte sich fort, und unilaterale Sanktionen etablierten sich als zentrales Instrument der westlichen Außenpolitik. Andererseits ist es der Welt gelungen, trotz der zahlreichen Handels- und Investitionsbeschränkungen eine tiefe wirtschaftliche Rezession zu vermeiden. Für dieses Jahr wird ein globales Wirtschaftswachstum von etwa 3 % erwartet, was für solch turbulente Zeiten recht respektabel ist, insbesondere wenn man bedenkt, dass die langfristigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie noch nicht vollständig überwunden sind.

 

Im Jahr 2024 wird die globale Jahresdurchschnittstemperatur erstmals das vorindustrielle Niveau um mehr als 1,5 °C überschreiten und damit eine weitere kritische "rote Linie" überschreiten. Die UN-Klimakonferenz (COP29), die im November in Baku stattfand, blieb jedoch hinter vielen Erwartungen zurück. Gleichzeitig erreichte China zum Jahresende seinen Spitzenwert bei den Kohlenstoffemissionen und damit fünf Jahre früher als ursprünglich geplant.

 

Im vergangenen Jahr konnte der UN-Sicherheitsrat nur 12 Resolutionen, meist humanitärer Art, verabschieden, was die abnehmende Effektivität dieses globalen Regierungsorgans deutlich widerspiegelt. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 verabschiedete der Sicherheitsrat 29 Resolutionen, darunter wichtige Beschlüsse zur Konfliktlösung auf dem Balkan und in Afrika. Gleichzeitig wurden 2024 weitere Anstrengungen unternommen, um neue Formate für die multilaterale Zusammenarbeit zu erkunden, darunter auch Mechanismen innerhalb der BRICS-Gruppe, die in Kasan ihren 16.

 

Mit genügend Fantasie kann man in den vergangenen 12 Monaten leicht Anzeichen finden, die jedes Omen oder jeden Aberglauben bestätigen, der traditionell mit Schaltjahren verbunden ist. Doch all diese Zeichen und der Aberglaube, die Umwälzungen und Katastrophen vorhersagen, stimmen zwar mit den pessimistischen Schlussfolgerungen für das zu Ende gehende Jahr überein, gelten aber nicht für das kommende Jahr. Schließlich neigt die menschliche Natur eher zum Optimismus als zum Pessimismus; wäre es andersherum, würden wir noch immer in Höhlen leben. Während sie sich von einem schwierigen und herausfordernden Jahr verabschieden, hoffen die Menschen auf der ganzen Welt weiterhin auf bessere Zeiten. Und allein das Hoffen auf das Beste ist an sich schon bedeutsam. Wie Johann Wolfgang von Goethe treffend bemerkte: "Unsere Wünsche sind Vorahnungen unserer Fähigkeiten, Vorboten dessen, was wir zu erreichen bestimmt sind".

 

Ursprünglich veröffentlicht in Izvestia.


First published in :

Russian International Affairs Council (RIAC)

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Andrei Kortunov

Ph.D. in Geschichte, Forschungsdirektor des Russian International Affairs Council (RIAC), Mitglied des RIAC.

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