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Diplomacy

Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Europäische Union

PARIS, FRANKREICH – 8. Februar 2023: Der französische Präsident Emmanuel Macron begrüßt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Bundeskanzler Olaf Scholz im Elysée-Palast

Image Source : Shutterstock

by Tomasz G. Grosse

First Published in: May.14,2024

Jun.17, 2024

Die Glaubwürdigkeit Frankreichs und Deutschlands hat in der Ukraine-Frage einen neuen Tiefpunkt erreicht und gefährdet die europäische Sicherheit, da beide Seiten versuchen, ihren politischen und geopolitischen Einfluss zu sichern. Die Solidarität ist schwach, und die Rüstungskonzerne haben sich als einflussreich bei nationalen Entscheidungen zur EU-Integration in Sicherheitsfragen erwiesen. In den zahlreichen Krisen, die die Europäische Union (EU) im 21. Jahrhundert heimgesucht haben, war die Rolle des so genannten "Integrationsmotors", wie das deutsch-französische Duopol genannt wird, entscheidend. Nach Moskaus Aggression gegen die Ukraine im Jahr 2022 traten die beiden westeuropäischen Integrationsführer jedoch in den Hintergrund. Die Anführer der Hilfe im Kampf gegen die Ukraine waren vor allem die Länder der NATO-Ostflanke, angeführt von Polen und den baltischen Staaten. Deutschland und Frankreich wehrten sich gegen zu radikale Sanktionen gegen Moskau, unterstützten Kiew nicht und wollten u.a. weder den Beitritt der Ukraine zur EU noch zur NATO. Warum distanzierten sich Paris und Berlin im Jahr 2022 von der russischen Aggression, die gegen europäische Werte und Menschenrechte verstieß und auch die EU selbst bedrohte? Kurz gesagt, der Krieg traf verschiedene wirtschaftliche Interessen, die Frankreich und Deutschland mit dem Regime von Wladimir Putin verfolgten. Ein Beispiel dafür war der Ausbau von Nord Stream, einer Gaspipeline durch die Ostsee, nach Putins erster militärischer Aggression gegen die Ostukraine im Jahr 2014. Es sei daran erinnert, dass die gesamte Klimawende in der EU in ihrer Anfangsphase auf billigem russischen Gas basierte. Die wirtschaftlichen Beziehungen waren nicht der einzige Grund für das seltsame Verhalten von Berlin und Paris angesichts der Aggression Moskaus. Geopolitische Erwägungen spielten eine noch größere Rolle. Die westeuropäischen Eliten haben - mit kleineren Unterbrechungen - traditionell mit Russland zusammengearbeitet und es als wichtigen wirtschaftlichen und politischen Partner betrachtet. Das geopolitische Ziel der beiden westeuropäischen Länder war es, strategische Autonomie von Washington und eine Annäherung an Moskau und Peking anzustreben. Historisch gesehen wurde Mittelosteuropa als ein Einflussgebiet von Berlin und Moskau betrachtet, das sie sich teilen oder (seltener) um das sie konkurrieren. Vor 2022 umfasste diese Einflusssphäre für Berlin die mitteleuropäischen Länder und die baltischen Staaten, für Moskau Belarus und die Ukraine. Unter anderem deshalb hat sich Westeuropa 2022 von Moskaus Aggression distanziert. Es wollte die Beziehungen zu Moskau nicht verschlechtern. Es wollte auch keine noch stärkere russische Aggression provozieren, da es einen ausgewachsenen Krieg mit der NATO befürchtete. Westeuropa wollte so schnell wie möglich eine Einigung mit Putin erzielen und zu den früheren wirtschaftlichen und geopolitischen Vereinbarungen zurückkehren. Im Jahr 2024 änderte sich die Haltung Westeuropas gegenüber dem Krieg in der Ukraine jedoch deutlich. Zunächst stockte Deutschland seine finanzielle und militärische Unterstützung auf, obwohl es weiterhin die Lieferung der von Präsident Wolodymyr Zelenski angeforderten modernsten Waffen an Kiew blockierte. Frankreich und Deutschland weiteten die gegen Moskau verhängten Sanktionen aus, obwohl sie immer noch Schlupflöcher enthielten, die es dem Kreml ermöglichten, sie zu umgehen. In der Zwischenzeit gaben Berlin und Paris ihr Veto gegen den EU-Beitritt der Ukraine auf, hielten jedoch an ihrem Widerstand gegen die NATO-Mitgliedschaft Kiews fest. Unter dem Einfluss der beiden westeuropäischen Länder wurde die finanzielle und militärische Unterstützung der EU für Kiew erhöht. Im Verhältnis zu den Bedürfnissen der Ukraine war sie jedoch immer noch zu gering, und Brüssel sah sich großen Problemen und Verzögerungen bei der Erfüllung der Hilfserklärungen gegenüber. Am radikalsten zeigte sich Präsident Emmanuel Macron, der 2024 die Entsendung von Truppen in die Ukraine ankündigte. Im selben Jahr schlugen deutsche Politiker vor, dass NATO-Truppen den Himmel über der Westukraine vom rumänischen und polnischen Territorium aus schützen sollten. Wie kam es zu dieser radikalen Wende in Berlin und Paris? Zunächst einmal stellte sich heraus, dass beide Länder in der NATO und der EU an Glaubwürdigkeit und damit an politischem Einfluss in Mitteleuropa und der Ukraine verloren. Nicht weniger gefährlich - vor allem für deutsche Politiker - war die wachsende Unzufriedenheit mit ihrer Haltung in den USA. Die Deutschen befürchteten, dass Washington das Vertrauen in Berlin verlieren und sich auf die Ostflanke der NATO, vor allem Warschau, konzentrieren würde. Außerdem glaubten Deutschland und Frankreich immer weniger an eine Erneuerung der guten Beziehungen zu Moskau. Sie hatten auch wenig Hoffnung, dass ihre "neutrale Haltung" Europa vor weiteren Aggressionen Putins, einschließlich seiner Angriffe auf NATO- und EU-Länder, schützen könnte. Zu diesem Zeitpunkt starteten die beiden westeuropäischen Länder eine diplomatische Offensive, um Änderungen in der Europäischen Union einzuführen. Es ging in erster Linie darum, die EU-Verträge zu überarbeiten, um den politischen Einfluss der beiden größten Länder Westeuropas zu stärken. So wurde unter anderem die Abschaffung der Einstimmigkeit in der Außen- und Verteidigungspolitik vorgeschlagen, die den Ländern mit der größten Stimmkraft (Deutschland und Frankreich) einen Entscheidungsvorteil verschaffte. Darüber hinaus wurden Anstrengungen zur Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) unternommen. Das Hauptziel bestand darin, die Produktion von Munition und Waffen aus EU-Mitteln zu erhöhen. Typischerweise zielten solche Maßnahmen darauf ab, das Potenzial von Rüstungsunternehmen in Westeuropa zu stärken und Waffenexporte von außerhalb der EU, einschließlich der USA und Südkoreas, zu begrenzen. Es versteht sich von selbst, dass die EU im Falle einer realen Bedrohung aus dem Osten den Waffentransport von außereuropäischen Verbündeten nicht einschränken sollte, da Europa selbst zu wenig Munition und Waffen produziert. Dennoch belohnte die Europäische Kommission nach 2022 mit ihren Maßnahmen eindeutig deutsche und französische Konzerne und schränkte den Zugang zu Waffenimporten von außerhalb der EU ein. Diese Versuche, die strategische Autonomie der EU gegenüber Washington zu stärken, sind kurzsichtig angesichts einer realen Bedrohung der EU und der NATO. Anstatt in erster Linie die Koordinierung innerhalb der NATO zu unterstützen, haben Frankreich und Deutschland außerdem versucht, die Strukturen des Nordatlantischen Bündnisses zu duplizieren, indem sie sich auf den Ausbau der schnellen Eingreiftruppen der EU (im Gegensatz zu den schnellen Eingreiftruppen der NATO) konzentrierten, die in Bezug auf Anzahl und Ausrüstung viel bescheidener waren. Mit anderen Worten, die Ziele waren politischer Natur und nicht auf eine echte Verteidigung ausgerichtet. Die Idee war, die deutsch-französische Führungsrolle in Europa zu stärken, und dies sollte durch die Unterstützung der Entwicklung von EU-Strukturen im Bereich der Sicherheit erreicht werden. All diese Bestrebungen zur Ausweitung der GSVP könnten bei der Umsetzung auf ernsthafte Hindernisse stoßen. Erstens sind sich Deutschland und Frankreich oft nicht einig, was die Sicherheit der EU betrifft, insbesondere wenn es um ihre eigenen nationalen Interessen geht. So waren die Franzosen beispielsweise enttäuscht über die Entscheidung Deutschlands, das amerikanische Mehrzweckkampfflugzeug F-35 zu kaufen, das Atomsprengköpfe tragen kann. Dies beeinträchtigte die Pläne zum Bau eines Flugzeugs der sechsten Generation in Zusammenarbeit zwischen deutschen, französischen und spanischen Unternehmen. Darüber hinaus entwickelte Berlin sein eigenes Projekt zur Flugabwehr und Raketenabwehr in der EU (European Sky Shield Initiative), zu dem es die Franzosen nicht einlud und das sogar mit ihrem eigenen europäischen Verteidigungsprogramm (La défense aérienne du continent) konkurrierte. Daher kritisierte Macron die deutsche Schutzschildinitiative, die er als übereilt und unvollständig ansah. Stattdessen warb er für eine echte "europäische Initiative", bei der die französische Rüstungsindustrie die dominierende Kraft ist. Zweitens haben sich die Maßnahmen Frankreichs und Deutschlands im Bereich der Verteidigung verzögert und waren unwirksam. Mehr als zwei Jahre nach der Ankündigung der berühmten Zeitenwende, der Modernisierung der Bundeswehr, gelang es der Bundesregierung in Berlin, nur achtzehn Leopard-2-Panzer und zwölf Panzerhaubitz 2000 zu bestellen. Drittens wurde schon früh immer deutlicher, dass Deutschland und Frankreich nicht bereit waren, die Ostflanke der NATO solidarisch zu verteidigen, sondern vielmehr Initiative und Führung zeigen wollten, um ihren geopolitischen Einfluss in Europa zu wahren. Was die tatsächliche Sicherheit anbelangt, so waren ihre späteren Ideen umstritten. Für ihre Rüstungskonzerne waren sie sicherlich von Vorteil. Aus all diesen Gründen hat die Glaubwürdigkeit Deutschlands und Frankreichs in Bezug auf die Sicherheitsüberlegungen der östlichen EU tendenziell abgenommen. Ob die Pläne von Paris und Berlin letztlich umgesetzt werden und die Zusammenarbeit im Rahmen der GSVP gestärkt wird, lässt sich derzeit nur schwer vorhersagen. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, so wäre dies paradoxerweise eine gute Lösung für die Sicherheit der Ostflanke. Die Anstrengungen zu ihrer Verteidigung werden sich auf die NATO konzentrieren und vor allem in den Ländern angesiedelt sein, die am meisten durch Moskaus Aggression gefährdet sind. Diese Analyse stützt sich auf einen kürzlich im Journal of International Affairs veröffentlichten Artikel. Tomasz G. Grosse ist Soziologe, Politikwissenschaftler und Historiker. Er ist Professor an der Universität Warschau. Er ist Leiter der Abteilung für die Politik der Europäischen Union am Institut für Europäische Studien. Er ist spezialisiert auf die Analyse der Wirtschaftspolitik in der EU und den Mitgliedstaaten sowie auf öffentliches Management, Geo-Ökonomie, Europäisierung und theoretische Überlegungen zur EU.

First published in :

The Australian Institute of International Affairs

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Tomasz G. Grosse

Tomasz G. Grosse ist Soziologe, Politikwissenschaftler und Historiker. Er ist Professor an der Universität Warschau. Leiter der Abteilung für EU-Politik am Institut für Europäische Studien. Er ist spezialisiert auf die Analyse der Wirtschaftspolitik in der EU und den Mitgliedstaaten sowie auf öffentliche Verwaltung, Geoökonomie, Europäisierung und EU-theoretische Überlegungen. 

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